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Weihnachten

Veröffentlicht am 25.12.2004

Gestern Nacht sind wir beide mit der Straßenbahn zum Hackeschen Markt gefahren. Wir wollten durch die friedlich leere Stadtmitte schlendern. Kaum waren wir ausgestiegen und auf dem Weg zu Unter den Linden, als die Glocken des Berliner Domes zu läuten anfingen. Vor uns gingen ein Elternpaar und der Sohn mit seiner Frau oder Freundin, allesamt in dunklen Wollmänteln und guten Schuhen. Wir folgten ihnen, magnetisch angezogen von dem Geläut und der Aussicht, doch noch, obwohl es nicht geplant war, in eine Christmette oder in ein schönes Weihnachtskonzert zu gelangen. Kurz darauf hörten die Glocken auf zu läuten, wir nahmen ein hellblaues Faltblatt entgegen und standen in einer Seitenloge des rund gebauten Kirchenraumes.

Nun ist dies ja ein besonderes Jahr für den Glauben in der Welt, und der Atheismus hat eine schwere Stunde angesichts des religiös begründeten Terrorismus und dem religiös geführten Wahlkampf George W. Bushs und den Ängsten, die plötzlich in einer liberalen Gesellschaft bei den Eingewanderten und den hier Geborenen aufkommen. 38 % der Ostdeutschen sollen bekannt haben, dieses Jahr in eine Christmette gehen zu wollen, was viel für die ehemals sozialistisch erzogenen Bundesbürger ist. Und auch wir Unentschlossenen finden uns plötzlich wieder in einer evangelischen Weihnachtsfeier und der Dom ist voll, gut besucht auf jeden Fall, und wie wir hören, geht es hier wie am Fließband zu. Am Ende der Feier sollen wir die Seitenausgänge benutzen, weil durch den Hintereingang schon die nächsten Besucher für die nächste Feier hereinströmen werden. Ich sehe mich um und denke mir, dass die Leute sich hier wie zu einer Opernaufführung versammelt haben. Man lauscht der Orgel und dem Trompetensolo, man vernimmt die Verkündigung, die Predigt und die Segnungen, aber mitsingen und mitsprechen ist den meisten fremd. Immer dann, wenn „Gemeinde“ neben den allseits bekannten Weihnachtsliedern steht, hört die „Gemeinde“ größtenteils zu, die Lieder werden nur von ein paar wenigen dünnen Stimmen gehaucht. In einer dreiviertel Stunde ist alles vorbei und auch die Weihnachtsgeschichte war sehr verkürzt, nur die Headlines „Volkszählung, Josef mit Maria in Nazareth, Geburt in einem Stall, Engel erscheint Hirten“ wurden deklamiert. Wir gehen dicht gedrängt durch die Seitenausgänge hinaus, vorbei an den goldenen Sarkophagen von Sophie Charlotte und Friedrich dem I. und sind trotzdem irgendwie sentimentalisiert. Die Predigt war kurz, aber gut. Der Priester sprach davon, dass die Geburt Jesu nur etwas angekündigt, aber nichts wirklich vollzogen hat, und dass dieses Prinzip der Liebe, was die christliche Kirche in der Gestalt Jesu sieht, eine Utopie ist, gleichwohl etwas, was sicher noch kommen wird, da es durch ihn ja schon einmal da war. Es würde irgendwann allumfassender kommen, und in vielen Gestalten sei es auch schon unter uns, es würde aufblitzen und erscheinen, immer dann, wenn wir aufhörten, egoistisch und hasserfüllt und stolz zu sein. Diese Botschaft der Liebe, das hat uns dann doch noch fast ein paar Tränen in unseren Augen getrieben.