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Was mache ich eigentlich?

Veröffentlicht am 29.08.2013

Was mache ich eigentlich? Ich mache im Ergebnis jedenfalls das, was die meisten hier tun. Ich funktioniere. Ich funktioniere nach der Uhr, die mich morgens um sieben weckt und mir abends um elf sagt, dass ich jetzt, um den nächsten Tag wieder zu funktionieren, ins Bett gehen sollte. Ich funktioniere auf diese Weise, gesetzt den Fall, der Schlaf funktioniert, sechzehn Stunden pro Tag. Das ist wenig, das könnte mehr sein, wenn ich mit sieben oder sechs Stunden Schlaf auskommen könnte. Eine Stunde Schlaf weniger pro Nacht ergäbe eineinhalb bis zwei Tage mehr im Monat, an denen ich funktionieren könnte. Es könnte aber auch die eine Stunde sein, in der ich, bevor mich der Schlaf abschaltet, zu mir selbst komme oder zu dem, was mich eigentlich beschäftigt. Es beschäftigt mich nämlich so manches,

aber ich vergesse es im Laufe der Zeit. Je länger ich reibungslos funktioniere, umso mehr vergesse ich mich. Ich habe dann nur noch so eine Ahnung von dem, worum es wirklich geht. Immerhin diese Ahnung, die bleibt, diese metaphysische Unruhe, wie ich es einmal genannt habe. Irgendetwas stimmt nicht, denke ich immerhin noch. Und funktioniere so wie die anderen um mich herum, die ich morgens kurz in der Garderobe der Kita, auf der Straße hetzend, hinter der Supermarktkasse, im Sportclub, beim Kinderarzt in einer Schlange, vor unseren Briefkästen, an ihren Smartphones, auf ihren schnellen Fahrrädern, nach der Arbeit an den Computern auf einem der Spielplätze treffe. Ob die das auch so empfinden, frage ich mich, dass noch etwas fehlt, obwohl der Tag doch gefüllt ist, dieser und auch der nächste und dem Kalender zu folgen die folgenden Wochen. Ob die auch denken, wo bin ich, wer bin ich, was hat das Leben mit mir gemacht? Ob die nicht auch manchmal leiden, (ich weiß, es ist eine dekadente Empfindung), an ihrem Alltag, oder ob sie trotz allem dankbar, entspannt und zufriedener sind. Und meine Oma, was würdest du sagen?

Was gibt es zu klagen, würde ich sagen. Du musst doch die Wäsche nicht mehr in Aschlauge kochen, du musst auch kein Feuer mehr schüren in deinem Herd, du steckst deine Bohnen nicht mehr, säst auch kein Korn, du fütterst kein Schwein und scharrst die Kartoffeln aus einer feuchtkalten Erde, dir platzt die Haut an den Händen nicht auf und wovon schmerzt eigentlich dein so geschonter unnützer Rücken. Du solltest dich hinknien morgens und mittags und abends zu einem Dankesgebet. Was für ein Leben mit all den Maschinen, überall brummt es. Wir haben noch Eis aus dem Gemeindehaus holen müssen, um unsere Sachen im Kühlschrank zu kühlen, es gab Gefrierfächer dort. Du hast einen Kühlschrank mit Gefrierfach, was selber abtaut und dieser Kühlschrank ist voll mit, das muss ich sagen, leckeren Sachen, die hätte ich auch gern gehabt. Kalter Braten, Ziegenkäse, Tomaten, was sind das, Oliven, fertiger Fruchtquark, verschiedene Kräuter und lauter so Feinkost, die ich nicht kenne, woher auch. Du hast schnell gekocht, wie ich sehe, acht Minuten dauern Spaghetti und aus dem Glas ist die Soße, fertig zerpflückt ist dein Salat. Hernach kommt das Geschirr in den Spüler, wie du es nennst. Du klappst ihn auf, füllst das Geschirr rein und wirfst ihn leichthändig zu und dann bist du fertig. Ich aber immer am Spülstein, das heiße Wasser rüber geschöpft vom Schwimmer im Herd, hat alles deutlich länger gedauert. Schon weil ich mehr Kinder hatte als du. Ich hatte fünf, dazu noch den Mann und seinen Vater und dessen Schwester am Hof, waren wir acht und das fünfmal am Tag. Z’Morge, Znieni, Zmittag, Zobe und Znocht hat man gegessen, das hat man gebraucht und das hat mich am Herd und am Spülstein gehalten. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das andere auch noch geschafft hab. Das Kinder versorgen, das Schaffen im Garten, das Tiere versorgen, das Wäsche einweichen und glätten, das Nähen und Sticken. Wahrscheinlich abends, nach dem Zobe oder zwischen dem Zobe und dem Znocht. Wahrscheinlich erst, als alle Kinder oben schon schliefen. Bin ich dann drin in der Stube gehockt und hab meine roten schrundigen Hände noch arbeiten lassen, ein Loch gab es immer zum Stopfen, Socken für alle zu stricken, das war mein Beimirsein gewesen, und manchmal hab ich dabei in den Herrgottswinkel hinüber geschaut, auf die Maria mit ihrem Jesus und hab dabei die Kuckucksuhr ticken und einmal stündlich rufen gehört und oft auch das Schnarchen von meinem Mann, der meistens am Ofen, die Hände zwischen den Schenkeln gefaltet, neben mir lag. Mit seinem Wetter gegerbten Gesicht und seinen schweißsteifen Hemden und seinen speckigen Hosen. Als alle noch lebten, da hab ich’s so richtig empfunden. Man hat das doch nicht hinterfragt.

 

Ich danke dir, Oma, jetzt aber schlaf wieder ein. Ich muss hinterfragen. Warum kann das leichtere Leben nicht automatisch glücklicher sein?