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Verspannung, erblich

Veröffentlicht am 13.07.2015

Dass ich einmal etwas über Geld und seine Auswirkungen schreiben, dass ich um dieses leidige Thema früher oder später nicht herum kommen würde, hätte ich eigentlich vorhersehen können.

 

Ich hatte noch nie ein entspanntes Verhältnis zu Geld und ich vermute, das ist erblich bedingt. Schon meine Großmutter konnte mit Geld nicht gut umgehen, denn sie hatte davon an keinem Tag ihres bäuerlichen Lebens genug. Wenn sie mich mit einem Einkaufszettel zum Dorfladen schickte, war ich mir sicher, dass die mit schrundigen Händen abgezählten Mark- und Pfennigstücke, die sie mir mitgab, nicht reichen würden...

 

... Regelmäßig stand ich beschämt vor dem Ladentisch der alten Krämer-Marie und hatte die Wahl, ob ich von Omas Einkauf den Zucker, das Mehl, das Saucenpulver oder die Dose Carokaffee wieder zurückgeben sollte oder ob ich die fehlende Summe anschreiben ließ. Meine Oma bezog keine Rente und ihr Mann, der sich als Waldarbeiter verdingte, gab ihr so wenig Kostgeld, dass ihr Dasein ein einziges Pfennig hin und herschieben war, ein Einkochen und Nähen, Stopfen und Klagen.

 

Auch meine Eltern waren im Umgang mit ihrem Geld sehr verkrampft. Jede Mark, die sie verdienten, hatte ihren heiligen Zweck darin, für eine bessere Zukunft gespart oder für wirklich Nützliches verwendet zu werden. Eine Mark kam nicht in ihr Leben um dieses einfach gedankenlos und ohne größeres Ziel zu genießen. Ihre Arbeit und deren Entlohnung fand ihre wahre Bestimmung im Erwerb eigenen Grund und Bodens und im Bau eines Hauses. Das Geld wurde für Haushalts- und Werkstattmaschinen, für Möbel und allerlei Arten von Geräten ausgegeben und es finanzierte ihnen Zement und Baustahl, Steine und Fliesen. Ihr Eigenheim war für sie gleichzeitig Freiheit und Festung. Und sie glaubten wirklich, glaubten es lange, es hätte für Generationen Bestand.

 

So hatte ich Geld entweder als Mangel oder als etwas, wofür man sich krumm machen und das man schon deshalb nicht einfach hinaus werfen konnte, erlebt. Es musste hart und lange dafür gearbeitet werden. Vollzeit und oft ungesichert und unter Zeitdruck. Fünf Tage die Woche, manchmal auch sechs. Und auch die Mutter blieb, weil man es brauchte, nicht bei den Kindern zuhause. Geld zu verdienen, das hieß für meine Eltern: Auf die Kinder, auf einen müßigen Lebensgenuss, auf Selbstbestimmtheit und eine sich selbst gewidmete Zeit zu verzichten. Die gab es nur noch am Sonntag. Und das war der Tag, an dem man den Herrn in der Kirche lobpreiste und nachmittags schlief. Der Sonntag war ein Zeichen totaler Erschöpfung.

 

So sollte mein Leben später nicht sein. Ich wollte den Stahl und Zement meiner Eltern durch Wissen ersetzen. Mit meinen Fragen. Mit Worten, mit Sprachen. Als ich studierte, gab es den Wohlstand der Eltern längst schon gebraucht. Kühlschranke, Herde, Waschmaschinen und Sessel, Regale. Man bekam diese Dinge geschenkt oder vom Sperrmüll. Was musste man schuften für Neues? Man hatte nicht viel und man lieh sich ein Auto, wenn man eins brauchte. Mein Leben als junge Studentin war leicht und passte lange auf einen Rücksitz. Mein Leben war außerdem staatlich, mit Bafög, gefördert. Das war ein paar Jahre phantastisch. Ich jobbte zwei Schichten die Woche in einem Cafe und den Rest meiner Woche konnte ich lesen. Einfach nur da sein und lesen. Ich lernte zuzuhören und zu argumentieren, Fragen zu stellen, lernte Gedanken aneinander zu reihen, mit meiner Sprache sensibler zu sein. Ich lernte kritisch zu sein, anderen und auch mir selbst gegenüber. 

 

Und was macht man damit, fragten die Eltern bisweilen. Wie willst du denn leben? Ich wusste so manches, dieses aber, das Wichtigste nicht. Womit verdiente ich später mein Geld? Ich werde einfach keins haben, war meine Einsicht. Oder immer zu wenig. Immerhin hatte ich bescheiden zu leben gelernt. Ich ging also weiterhin jobben. Was sollte ich sonst tun? Ich konnte nur das. Frei sein, die Möglichkeiten der Sprache erforschen, Geschichten erzählen. Offiziell war ich jetzt: Eine Autorin. Und das war gut und verwegen, schweres Gepäck, aber ertragbar, Boheme und nicht einsam, die ersten paar Jahre. Doch dann wurde es schwerer. Das Leben war teurer geworden und wenig zu haben, verlor seinen Charme und einige Freunde verdienten jetzt ordentlich Geld und gründeten eine Familie und wenig zu haben, fühlte sich plötzlich verkehrt an. Ich schämte mich wieder dafür und wenig zu haben, machte jetzt Angst. Immer ein wenig zu wenig zu haben, ertrug ich nicht mehr.

 

Ich kenne einige Menschen, die einer Arbeit nachgehen, die sie erfüllt, die ihre Arbeit tatsächlich mögen, von ihrem Sinn überzeugt sind. Ich kenne eine Krankenschwester, eine NGO-Mitarbeiterin, eine Beraterin von Minijobbern, eine Kunstprofessorin, einen Lektor... die mir den Eindruck vermitteln, dass sie glückliche Überzeugungstäter sind. Und ihr Einkommen ist gut genug, um ihnen ein angenehmes Leben zu sichern. Für mich als Autorin jedoch war jeder andere Beruf, jeder Job, in den ich geschlüpft war, nur eine Rolle. Egal, was ich war, Kellnerin oder Sprachlehrerin, Dramaturgin oder Winterdienstfahrerin, ich musste mich immer ein Stück weit verleugnen. Ich spielte die Kellnerin nur, die Sprachlehrerin, die Büroangestellte, die Großküchenköchin ... ich ging in keiner der Tätigkeiten vollständig auf. Und ich habe so manche getroffen, die ihren Lebensunterhalt ähnlich verdienten. Die sich, vielleicht nicht im gleichen Maße wie ich, verleugneten, verrieten, verbogen, schlicht und ergreifend um Geld zu verdienen. Die sich mit dem Umstand abfinden mussten, dass sie fremdbestimmt waren und ihre Interessen nicht verwirklichen konnten. Die resignierten. Und morgens und abends in den Bahnen und Bussen wie ausgelöscht sitzen und niemanden sehen.

 

Ich habe das Glück, dass ich seit einigen Jahren Autorin sein darf. Dass ich meine Fragen stellen und ernst nehmen darf. Dass ich Geschichten schreiben, an Worten und Sätzen herumfeilen darf. Dass ich Bücher und Stücke lesen darf und Zeit habe um mir darüber Gedanken zu machen. Dass sie in mir nachwirken können. Dass ich wach bleiben darf, verletzlich, übersensibel, dass ich traurig und wütend und überfordert sein und etwas von diesen Gefühlen erzählen und ausdrücken darf. Dass ich meine Sinne weiter schärfen und weiter zweifeln und suchen und heranreifen darf. Das ist ein sehr großes Glück.

 

Und erst seit ich ausreichend Geld habe, um mir nicht mehr jeden Tag darüber Sorgen machen zu müssen, habe ich die innere Ruhe gefunden um mich mit seiner Wirkung auf uns beschäftigen zu können. Ich habe mich gefragt, was macht es mit uns, wenn wir es haben, was macht es mit uns, wenn wir es wieder verlieren oder zu lange entbehren? Und ich habe mich gefragt, wie es dazu kommen kann, dass es uns trennt? Denn dass es uns trennt, das habe ich immer wieder erfahren. Ich kenne zig Fälle von nachbarschaftlichen Konflikten, von Scheidungskriegen und Erbstreitigkeiten. Wo Menschen was haben, da wird darüber gestritten. Und das, mehr als alles andere, beschäftigt die deutsche Justiz.

 

Als jemand, die nie viel auf der Tasche hatte, habe ich mich in der Welt der Wohlhabenden nie zuhause gefühlt. Als jemand, die irgendwann genug zum Leben hatte und die sich häufig in literarischen Welten aufhielt, fühlte ich mich immer reich, obwohl ich rein rechnerisch arm war. Als jemand, der rein äußerlich wieder ein bürgerliches Leben zu führen begann, trennte ich mich von denen, die dies nicht taten. Ohne dass ich dies wollte oder selber vorantrieb. Und als eine von vielen begann ich vor einigen Jahren statt dem Feuilleton den Wirtschaftsteil der Zeitungen zu lesen und mich zu empören. Über das große Gezocke der Banken, die skrupellosen Spekulationen, die Parallelwelt der Broker, die sozialistische Verteilung der weltweit gemachten Verluste, die unerklärbar hohen Managerboni, über die Staatenkrisen und das Verschleiern von großen Gewinnen, das Verbergen von großen Vermögen, das seltsam legale Steuervermeidungssystem. Was wurde nicht alles ans Licht gebracht, gestanden, gemeldet. Und einiges wurde, im Sinne einer gerechten Verteilung, im Sinne offener Karten, verbessert. Aber die Kluft zwischen denen, die unermesslich viel haben und denen, die sich durchschlagen müssen, ist trotzdem größer geworden.

 

Genug zum leben zu haben, ist die Grundlage für ein Leben in Würde. Ist die Grundlage für einen guten Schlaf, für die Ruhe des Einzelnen und den Frieden zwischen uns Menschen. Hätten wir alle annähernd gleich viel, müssten sich Neid und Scham und Hass einen anderen Nährboden suchen. Und wir würden unseren Reichtum nicht mehr in Geldwerten, sondern an unserer Gesundheit, unseren Freundschaften, unserer Fähigkeit zum Glücklichsein messen.

 

Darüber hätte ich viel lieber geschrieben. Über die Liebe und unsere vielen verdrängten Gefühle.