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Neid

Veröffentlicht am 05.02.2014

Da geht es jemanden besser als einem anderen. Vorher ist man Jahre lang etwa gleich dran gewesen. Man hatte gleich wenig und gleich viel zu kämpfen. Dann hat der eine einen Sprung  nach vorne gemacht, aus welchen Gründen auch immer. Er hat vielleicht einfach nur Glück gehabt, den besseren, besser bezahlten Job bekommen. Oder er hat geheiratet und die Beziehung ist sogar glücklich und stabil, so dass man auch längerfristig mit einer doppelt abgesicherten privaten Wirtschaftseinheit rechnen kann, während der andere nie geheiratet hat, schon aus Prinzip nicht, aber auch aus Eigensinn nicht und jetzt allein erziehend da steht und lebt und dadurch finanziell und, nein, in allen Bereichen, Nachteile hat. Diese Person kann nicht ganztags arbeiten gehen oder an ihr sind, weil sie auf die Kinder aufpassen musste und muss, die Aufstiegschancen vorbei gezogen, sie muss eine Wohnung allein finanzieren (wie übrigens auch ihr ehemaliger Partner ein ähnliches Los gezogen hat).

 

Also ökonomisch ist diese Person gegenüber der ersteren wesentlich schlechter gestellt, auch emotional ist sie viel instabiler geworden (oder schon immer gewesen?). Sie liegt mit ihrem Streben nach Selbständigkeit allerdings voll im Trend, auch mit den daraus resultierenden prekären oder jedenfalls knappen Verhältnissen, dem permanenten Gestresstsein, den Rückenproblemen, dem sich Vorwärts peitschen. Dass ihr Umgang mit ihren Kindern auch oft ein gestresster, ein wenig geduldiger ist, liegt auf der Hand. Das Leben dieser selbstbestimmten Person ist immer ein Kampf.

 

Die eine, der es besser geht, merkt, dass sie gar nicht mehr alles erzählen kann, weil die andere Person sonst neidisch wird. Wenn sie von ihren Urlaubsplanungen erzählt, sagt die andere Person, mit der sie doch befreundet ist und bleiben will, na, dann müsst ihr’s ja haben. Wenn sie, und das meint sie im Spaß, sagt, also dieses Handy, das mir mein Mann geschenkt hat, das werde ich jetzt benutzen, bis es auseinander fällt, dann sagt die andere, ich könnte mir Schlimmeres vorstellen. Die eine, der es gut geht, traut sich das gar nicht mehr zu zeigen. Sie hat keine Rückenprobleme und kann noch joggen gehen, aber sie wartet immer, bis die andere aus dem Haus gegangen ist, bevor sie mit ihren Joggingklamotten auf die Straße tritt. Sie leben nämlich in derselben Straße. Die eine in einer Eigentumswohnung, in einem Neubau, den sie, dank dem Erbe ihres Mannes, mitgebaut haben. Die andere in einer Mietwohnung in einem Altbau, wo die Heizkosten gerade explodieren. Die eine, die es besser hat, kann von zuhause aus arbeiten, als Übersetzerin, und sie hat einen tollen Mann, der sehr gut verdient und ein Kind, um das sie sich nach der Kita oder Schule entspannt kümmern kann. Die andere hat einen anstrengenden Erzieherberuf, bei dem sie finanziell auf keinen grünen Zweig kommt, der sie aber große Anstrengung kostet. Und wenn sie nach Hause kommt, sind da zwei nörgelnde Grundschulkinder, die sich ständig streiten und in der Schule Probleme haben. Und ihr Liebesleben ist mehr eine Wunschvorstellung geworden, eine Reihe von Enttäuschungen und Irrungen.

 

Das ist nur eine Konstellation von Ungleichheiten, eines Auseinanderklaffens von Lebensentwürfen und Möglichkeiten, der Schere Arm-Reich, wie sie sich zeigen kann, ganz unmittelbar. Wie die eine Frau es zu Wohlstand bringt, die andere in eine Situation von Verunsicherung und drohender Altersarmut abrutscht.

 

Nun werden gerade wieder die neuesten Fälle von Steuerhinterziehungen diskutiert. Alice Schwarzer, Theo Sommer, Andre Schmitz... Steuern zu hinterziehen ist eine „Sünde“, denn sie bedeutet, dass man sich über das Gemeinwohl stellt, dass man alles für sich behalten will, was man von irgendwoher bekommen hat. Wer aber was hat, soll was abgeben. Jeder, der kann, soll was abgeben, damit wir hier im Lande Schulen, Kitas, Straßen und Bibliotheken, Theater, öffentliche Toiletten und dergleichen bauen und erhalten können, damit wir unsere Lehrer und Beamten bezahlen können, unsere Polizei und Armee und Sozialarbeiter und alle, die für uns alle einen guten Job machen. Wer viel hat, soll viel geben. Wer wenig hat, gibt wenig oder gar nichts. Auf diesem Grundsatz basiert unser System der großen und kleinen Schultern. Wer viel hat, muss diejenigen, die weniger haben, befrieden. Sonst frisst sie ihr Neid irgendwann auf. Sonst wird es Unruhen geben. Insofern ist unser (progressives) Steuersystem ein Bewahrer des inneren Friedens und unseres Rechtsystems. Sofern sich die Bürger dran halten.

 

Wie groß die Angst vor den Neidern, vor dem Hass der schlechter Gestellten sein muss, zeigt das Verhalten von Frau Schwarzer, die einen Tag nach der Veröffentlichung ihrer Steueraffäre die geplante Gründung einer Stiftung bekannt gab, die sich um benachteiligte Mädchen und Frauen kümmern will. Mit einer Million ihres Privatvermögens soll diese Stiftung finanziert und später auch aus den Gewinnen von ihrer Zeitschrift Emma unterhalten werden. Ich habe viel, aber ich gebe ab, ich helfe den anderen, das ist ein Reflex, den viele haben, die mehr als die Mehrheit besitzen. Schaut mich nicht so böse an, akzeptiert mich als einen von euch, hasst mich nicht für meine Kohle, ich gebe euch doch etwas davon, ich will das nicht alles alleine verprassen, wozu auch, ich bin ein Mensch so wie ihr, und ja, ich habe in manchem gefehlt, ich habe nicht immer an euch und an alle gedacht, ich habe an mich nur und an meine Familie gedacht, wenn überhaupt, an mein Vermögen, das plötzlich da war (oder an das ich gewöhnt bin, so lange ich lebe). Ich musste es doch erst verwalten (oder zuerst mal verdienen). Das war wie ein Rausch. Was man mir plötzlich bezahlt hat für meine Arbeit. Was man mir plötzlich alles geschenkt hat. Ein Auto und eine Wohnung, Hubschrauberflüge, Rentenansprüche. Ich wurde geachtet, ich hatte einen beachtlichen Wert. Und wer von euch würde das nicht auch genießen? Wer wäre nicht gerne einmal ganz oben, wo man die Macht hat, wo niemanden einen mehr demütigen kann.

 

ICH DENKE, DASS WIR EINEN AUSGLEICH SCHAFFEN MÜSSEN UNTER UNS, DASS DIEJENIGEN, DIE MEHR HABEN ETWAS ABGEBEN SOLLTEN.

 

Einen Ausgleich kann es nämlich geben, auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Einer meiner Freunde erbte Geld und teilte sein Erbe unter seinen weniger bemittelten Freunden und sich selbst zu gleichen Teilen auf. Ein anderer wird von seinen betagten Eltern auf so großzügige Weise unterstützt, dass er wiederum nicht zögerte, einer in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Freundin unter die Arme zu greifen. Eine Freundin, die sehr solide mit ihrem selbst verdienten Geld umgeht, hat einer Bekannten einen Kredit gegeben. Sie sieht ihr Erspartes so besser angelegt als auf irgendeiner Bank.