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Das Gefühl von Freiheit

Veröffentlicht am 03.04.2014

Häufig, wenn ich nach meinen Runden am Rand des Fußballfelds stehe, um dort meine gymnastischen Übungen zu machen, denke ich bei den über mich einfliegenden Flugzeugen an zweierlei.

Ich denke an das Gefühl von Freiheit und Sehnsucht, das ich früher hatte, wenn ich ein Flugzeug am Himmel sah. Freiheit war das, was dieses Flugzeug verhieß und ich sehnte mich danach frei zu sein, abheben zu können, woanders sein zu können. Ich hatte noch nicht viel von der Welt gesehen und all das Unbekannte schien verlockend und vielbedeutend zu sein. Wenn ich mich recht erinnere, war ich 26 Jahre alt, als ich das erste Mal ein Flugzeug bestieg. Ein Jetsetter, der meine Aufregung nur belächelte, nahm mich Ahnungslose mit nach Westberlin. Wie ein Kind saß ich neben ihm, fassungslos und begeistert von der neuen Perspektive, die ich von oben auf die Welt einnehmen konnte, hilflos mit meinen Ohrenschmerzen, die mich beim Landeanflug quälten. Am schönsten, und das blieb lange ein großer Genuss für mich, war der Moment, in dem das Flugzeug auf der Rollbahn mit voller Kraft der Motoren Fahrt aufnahm, so dass ich den Eindruck hatte, an meinem Sitz festgedrückt zu werden, und dann der Moment des Abhebens, ein Gefühl des Loslassens und Leichtwerdens, gewichtlos zu sein. Immer wenn ich in den folgenden Jahren ein Flugzeug bestieg, freute ich mich auf diesen Moment. Ich zelebrierte ihn regelrecht, keiner durfte mich stören dabei. In dem entscheidenden Augenblick, in dem sich das Flugzeug endlich in Bewegung setzte, wollte ich alleine sein mit diesem Gefühl. Es war Euphorie, Vorfreude, Optimismus und Glück. Einmal, als ich mit einer kleinen Propellermaschine von Tempelhof aus nach Zweibrücken abhob, hatte ich den zu diesen Gefühlen passenden Gedanken gefunden: „Ich habe ein großartiges Leben und die Zukunft liegt vor mir!“ Ich hatte zwar den „Homo faber“ gelesen, aber ich dachte nicht an ausfallende Triebwerke, wenn ich auf die Tragflächen blickte. Es war ein großes Vertrauen in mir. Mit den Jahren und nicht erst in Folge des 11. September veränderte sich mein Empfinden beim Fliegen. Es mag meinem Älterwerden geschuldet sein, dass ich (vielleicht so ab Ende dreißig) beim Anrollen des Flugzeuges eher so etwas wie „Mein Leben war gut, so wie es war, wenn ich jetzt abstürzen sollte“ dachte. Das dröhnende Motorengeräusch löst jedenfalls inzwischen mehr ein Gefühl des Ausgeliefertseins als Euphorie bei mir aus, eine, wenn auch diffuse Angst und eine, die sich sofort in Luft auflöst, sobald das Flugzeug seine Flughöhe erreicht hat. Es ist eine Art Fatalismus an die Stelle des Glücksgefühls getreten, ich ergebe mich dem Schicksal oder der Technik, wie auch immer man das sehen mag, und schließe vorsichtshalber schon mal mit meinem kleinen Leben ab. Das Gefühl von Freiheit ist außerdem dem latenten Gefühl von Schuld gewichen, seit ich weiß, wie viel Kerosin während des Flugs verbrannt und wie viel CO2 in die Atmosphäre geschossen wird. Das hat sich nur wenig verbessert, seit die Fluggesellschaften es einem ermöglichen, seinen Ablass in Form einer Baumspende zu leisten. Das schlechte Gewissen fliegt mit, auch wenn es bis zur Unerkennbarkeit verdrängt wird.

Beim Blick vom Spielfeldrand, von dem aus ich die langsam herab sinkenden Flugzeuge beobachten kann, erinnere ich mich manchmal an meinen ahnungslosen Optimismus, der mich in solchen Momenten erfasst hatte. Ich sehne mich danach zurück, zurück in diese Naivität. Aber sie ist verloren gegangen. Ich sehe die Flugzeuge über den Häusern der Stadt und seit einigen Jahren sehe ich, je kleiner sie sind und je größer die Häuser davor, wie sie die Häuser als Zielscheibe haben und auf sie zusteuern werden. Ich sehe die Terroranschläge von 2001. Manchmal, nicht immer. Aber zu häufig, um ihren Anblick noch so genießen zu können wie früher.