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Europa 2014

Veröffentlicht am 26.05.2014

Europa hat gewählt. In Ländern wie Frankreich und England haben die EU-Gegner, rechtspopulistische Parteien, die etablierten Parteien in den Schatten gestellt, in vielen Ländern eine alarmierend breite Wählerschaft hinter sich versammeln können. Jetzt spricht man in Frankreich schon von einem Referendum

 für den Austritt aus der EU, andere drohen das System, also das europäische Parlament, von innen auszuhöhlen, man will den Euro abschaffen, die Einwanderung stoppen, die eigene Wirtschaft protektionieren, sich nicht mehr länger von einer EU-Kommission, die man als den langen Arm eines viel zu mächtigen Deutschlands empfindet, Sparmaßnahmen aufzwingen lassen. Man will seine Krise selber lösen, die man selbstverständlich nicht als hausgemachte begreift. Man sieht sich als Opfer, als Unterdrückte und seiner eigenen Stärken beraubt. Wäre Europa und der Euro nicht, würde es uns Franzosen viel besser gehen. Unsere Autoindustrie wäre stärker als die der Deutschen, unsere Technologie hätte Weltführerniveau, unser Militär würde sich häufiger als schlagkräftige Ordnungsmacht zeigen können. Wäre Europa und der Euro nicht, hätten wir nicht diese Finanz- und Bankenkrise gehabt oder wir hätten sie mit unseren Mitteln spielend leicht lösen können, denken die Engländer. Wir müssten uns nicht mit so einem Quatsch wie der Finanztransaktionssteuer und all diesen blöden Regulierungen des Finanzmarktes herum schlagen, die uns von den Deutschen und der EZB aufgezwängt werden. Unsere Notenbank würde einfach Geld drucken, bis wir wieder aus dem Gröbsten raus wären. Wenn Europa und der Euro nicht wären, hätten wir Griechen uns zwar nicht so viele EU Subventionen in unsere eigenen Taschen schieben können, aber wir hätten unser fürsorgliches System aus Steuerhinterziehung und Günstlingswirtschaft zum Wohle aller weiterführen können. Unsere Elite wäre noch da und ihr Geld ebenso und niemand müsste für eine Operation betteln gehen oder sich aus Verzweiflung aus dem Fenster stürzen. So oder ähnlich stelle ich mir Gefühlslage und Argumente der Rechtspopulisten in den verschiedenen Ländern vor. Die von Merkel vertretene Sparpolitik wird als Geißel empfunden, als Mittel, um die Partnerländer zu schwächen, aber welchen Vorteil sollten Merkel, Deutschland und die Europäische Union von einer Schwächung Griechenlands, Portugals, Italiens, Frankreichs haben? Wäre es für Europa in der Summe nicht besser, es ginge allen gut, annähernd gleich gut? Es wäre doch für Deutschland vorteilhafter, in Europa gäbe es keine Krise, dann nämlich könnte es noch mehr seiner Güter in diesen schönen Binnenmarkt exportieren. Und ginge es den anderen Mitgliedsstaaten wirtschaftlich ebenso gut, dann würde Deutschlands Exportüberschuss sich sicher vermindern. Dass Deutschland Importe verhindert, davon habe ich jedenfalls noch nicht gehört.

Sicher ist, es läuft nicht alles rund und nicht alles gut in Europa. Sicher ist, dass die Sparmaßnahmen immer in erster Linie die einfachen Leute treffen, die jetzt arbeitslos geworden sind, ihren Krankenschutz verlieren, kaum noch Perspektiven haben, ihre Ersparnisse aufbrauchen müssen oder verloren haben. Sicher ist auch, dass diese Sparmaßnahmen allein nicht genug sind, um die Wirtschaftskrise in vielen europäischen Ländern zu beheben. Hier in Deutschland wurden Konjunkturprogramme aufgelegt, warum kann man das in den betroffenen Ländern nicht auch tun? Kann man nicht gezielt EU-Gelder für Bildungsprogramme, Infrastrukturprogramme und Arbeitsmarktstrukturreformen bereitstellen? Wird das vielleicht sogar schon gemacht und ich weiß es nur nicht? Ich krieg’s mal wieder einfach nicht mit? So wie ich vieles, was sicher an guter Zusammenarbeit und positiven Effekten zu verzeichnen ist, einfach nicht mitkriege, weil es, so kommt es mir vor, kaum nach außen kommuniziert wird. Was jedes Land bislang durch seine Mitgliedschaft in der EU gewonnen hat, welche Gelder geflossen sind, welche positiven Veränderungen, Kooperationen entstanden sind, darüber müssten die Bürger dringend mehr erfahren. Warum weiß ich nicht, wenn ich durch das strukturschwache Brandenburg fahre, welche Straßen und Bildungseinrichtungen, Ökoresorts und Kulturmaßnahmen von Europa mit- oder ganz finanziert wurden? Warum erfahre ich immer nur von den Pannen, den Fehlern und dem zähen Ringen einiger weniger Mächtiger in Brüssel? Warum kommuniziert Europa so schlecht?

Die Wirtschaftskrisen in Ländern wie Spanien, Portugal, Italien und Frankreich haben, so weit ich das verstehe, ihre Ursache nicht darin, dass diese Länder Mitgliedstaaten der EU sind oder der Euro 2002 offiziell eingeführt wurde. Es gab die Immobilienkrise in den USA, die als Kredit- und Bankenkrise nach Europa schwappte. Fehlspekulationen, riskante Kreditgeschäfte waren maßgeblich daran schuld, dass der wirtschaftliche Aufschwung, der gerade noch gefeiert wurde, in eine Rezession führte. Rettungsschirme wurden gespannt, konnten aber die Herabsetzung der Kreditwürdigkeit vieler Länder nicht verhindern. So viel meine ich verstanden zu haben. Warum Deutschland diese Krisenjahre besser bewältigen konnte? Offenbar hat man unserer Wirtschaft eine höhere Kreditwürdigkeit zugebilligt. Die Nachfrage nach unseren Maschinen und Autos und technischen Geräten konnte sich jedenfalls bald wieder erholen und ist seither weltweit auf einem hohen Niveau. 2009 waren wir die größte Volkswirtschaft Europas und die viertgrößte weltweit. 2013 waren wir Exportweltmeister, was heißt, dass kein anderes Land dieser Erde mehr exportiert hat als wir. Wir haben zwar im Schnitt weniger Studenten und Abiturienten als in anderen Industriestaaten, dafür aber ein tradiertes System technischer Schulen und Hochschulen, die es offenbar in der Weise nirgendwo gibt. Um unseren Maschinen- und Werkzeugbau, unsere Automobilindustrie, unsere mittelständischen Unternehmen und Ingenieure werden wir beneidet. Für unsere Größe und unseren Einfluss in Brüssel werden wir von vielen gehasst. Psychologisch betrachtet verstehe ich das, aber Neid und Hass helfen den Menschen in Spanien, Italien, Frankreich, Griechenland, Portugal keineswegs weiter.