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Über das Sprechen

Veröffentlicht am 12.05.1997

Zwei Menschen, die sich schon eine ganze Weile kennen, sprechen über die Probleme, die sich in den letzten Wochen ihres Zusammenseins ergaben. Schon wird es mindestens zwei Varianten derselben vergangenen Vorgänge und mindestens eben so viele Beurteilungen geben. Vielleicht schwanken die Erinnerungen im Laufe des Gesprächs, so kommt es zu weiteren Varianten. Alles was gesprochen wird, ist letztlich nur haltbar als gemeinsam erlebte Wirklichkeit, wenn am Ende beide den zusammen gesammelten Fetzen Glauben schenken und sich auf eine Variante einigen können. Aber schon das Erinnern und das Erinnerte in Worte bringen, ist ein Akt der Transformation,

ist beeinflusst vom damaligen und momentanen Bewusstsein und dem psychischen Zustand desjenigen, der sich erinnert. Niemals wird die Wirklichkeit, die vergangene, so nacherzählt werden können, wie sie war. Immer sind in diesem Nacherzählen Erfindungen und Wertungen enthalten und eine Logik der Gegenwart stülpt sich über das Gewesene.

Wenn zwei Menschen miteinander sprechen, denken und meinen sie nie das Gleiche, immer nur etwas Ähnliches.

Wir sagen, wir sind einer Meinung, aus einem Holz geschnitzt. Das aber ist nur unser sehnlichster Wunsch, nicht ein vereinzeltes Individuum zu sein.

Wir können über uns selbst nur immer Vorläufiges sagen. Mit der besten Absicht, nur die Wahrheit zu sagen, müssen wir permanent lügen, weil unsere Wahrheiten zum Teil kurze Verfallsdaten haben. Was wir heute sagen, kann morgen schon nicht mehr stimmen.

Gegen die Unwahrheit der Sprache will man die Wahrheit des Körpers setzen. Aber der Körper bleibt doch immer nur im Jetzt.

Trotzdem: An die Worte wollen wir glauben, weil wir an eine Zukunft glauben wollen. Weil wir das Leben verstehen und begreifen wollen, weil wir es in die Hand nehmen wollen, weil wir wissen wollen, wie es geht. Weil wir wissen, dass wir Dinge denken können und aus den Gedanken eine Wirklichkeit hervorgehen kann. Wir brauchen die Worte, damit wir uns, unserem nur sich selbst verpflichteten Körper nicht restlos ausgeliefert sind.