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Der Duft von Mangos

Veröffentlicht am 26.04.2023

Zahn 44 macht schon wieder Ärger, der Eckzahn links unten. Ich habe bei meinem Zahnarzt einen Notfalltermin um die Mittagszeit bekommen. Es ist Pendelverkehr, trotzdem nehme ich die U-Bahn. Sie fährt drei Stationen, dann steigst du aus und wartest, bis ein zweiter Pendelzug dich ein Stückchen weiterbringt.

 

Ich lasse mich nieder auf einer Bank, neben zwei Mädchen. Arabische oder türkische, jugendliches Alter, sie tragen straffe, schwarze Hijabs, haben die Köpfe zusammengesteckt. Wie zur Begrüßung schauen sie mich kurz an, lächeln vergnügt, bevor sie weitertuscheln. Ein rundes und ein ovales Gesicht, dezent geschminkt, weich geformt, ebenmäßig. Große braune Augen. Die mit dem runden Gesicht trägt eine runde Nickelbrille, goldfarben, oversized, schwarze Kleidung, weiße Sneaker. Die andere hockt da, als rolle sie sich ein in ihren Houdie aus Teddy, cremefarben, ebenfalls oversized, die Teddy-Kapuze ist über ihr Kopftuch gezogen.

Sie sehen hinreißend aus. ...

 ...

Ich aktiviere auf meinem Smartphone die Tagesschau-App, da steigt vor den beiden nebliger Rauch auf. Das Mädchen mit der Brille entlässt aus Nase und Mund einen hauchfeinen Rauch, ein Röhrchen in der Hand.

Reflexhaft sage ich: Ähm, hallo, das dürft ihr hier nicht. Sofort wenden sich beide mir zu. Mit Unschuldsgesichtern.

Wieso nicht, fragen sie, freundlich, verwundert.

Na, ihr seid doch in einem öffentlichen Raum, in einer Bahn. Hier ist Rauchen nicht erlaubt. Wie eine spröde Ordnungshüterin suche ich in der Bahn nach Verbots-Piktogrammen. Nach der durchgestrichenen Pommes-Tüte. Nach der durchgestrichenen Flasche. Nach der durchgestrichenen Zigarette. Der Zug ist neu, ich finde keines dieser Zeichen.

Aber wir rauchen nur Mango, sagt das Mädchen im Houdie. Wollen Sie mal probieren?

Nein. Nein, danke. Ich lache. Ist das wirklich nur Mango?

Aber klar, sagen sie. Lächeln bezaubernd.

Ob ich vielleicht eine Lehrerin sei, werde ich gefragt.

Meint ihr wegen meiner Brille? Ich bin versucht, sie mir zum Spaß von der Nase zu reißen.

Das Brillen-Mädchen kichert. Dann wäre sie ja auch eine Lehrerin oder so.

Um meine Einmischung zu entschuldigen, erzähle ich den beiden von der Empörung meiner Tochter, weil eine Mitschülerin in ihrer Klasse im Unterricht raucht. Auch mit so einem Röhrchen, sage ich, die Mitschülerin raucht E-Zigarette.

Nun entrüsten sich die beiden. Oh, nein, oh nein, das sollte man nicht. Im Unterricht rauchen! Aber ansonsten sei es harmlos, sagen sie, und außerdem, es sei nicht Rauchen. Es sei ja nur Vapen, was sie da machen.

Wie bitte?

Vapen.

Alles klar, sage ich. Aber ist da nicht manchmal auch Nikotin drin? Will man euch damit nicht abhängig machen? Erst Mango, dann ein bisschen Nikotin, ihr wisst schon, was ich meine.

Sie nicken beflissentlich. Ja, das stimmt, das gibt es auch mit Nikotin, aber das vapen wir nicht. Natürlich nicht. Never ever. Was wir vapen, das erlauben sogar unsere Eltern.

Ach wirklich?

Ja. Echt. Es habe zwar ein paar Monate gedauert, bis sie die Erlaubnis hatten, aber inzwischen hätten sie die. Und es sei jetzt voll okay für ihre Eltern. Und echt harmlos.

Plauder Plauder Pläuschen.

Ich bemerke zu spät, dass der Zug inzwischen schon wieder in die Gegenrichtung fährt. Umstieg verpasst. Also pendle ich eine weitere Runde. Wird schon etwas knapp mit meinem Notfalltermin.

Die Mädchen kichern. Wo müssen Sie denn hin?

Zum Zahnarzt!

Oh, rufen sie bedauernd.

Sie pendeln schon seit Stunden, vapen und quatschen.

Keine Schule, frage ich.

Schulkonferenz, sagt die eine.

Vattenfall, sagt die andere.

Aha. Da bohre ich lieber mal nicht tiefer nach.

Die beiden tuscheln miteinander und nicken sich zu. Hier, sagt das Mädchen mit der Brille und zeigt mir ein anderes Röhrchen, in dem eine bräunliche, klare Flüssigkeit schwappt. Das ist das Nikotin-Vape.

Und die andere sagt: Haben wir auch schon geraucht.

Nicht gut, sage ich. Sicher schaue ich besorgt. Vielleicht schüttele ich den Kopf.

Sie bräuchte das Vapen mit Nikotin, sagt das Mädchen mit der Brille. Sie habe Aggressionen, und die kriege sie nur mit dem hier in den Griff. Sie ziehe daran, einmal ganz tief, schließe die Augen und schon sei sie entspannt. Es sei so einfach. Herrlich.

Früher, sagt das Houdie-Mädchen, habe sie mit ihren Fäusten auf Wände geschlagen. Das war nicht so gut. Sie habe mit fünf schon Dinge gesehen, die man nicht sehen sollte. Sie macht eine Faust und zeigt mir ihre Knöchel, die keinen bleibenden Schaden aufweisen, vor dem Vapen aber wund geschlagen waren. Alles blutig und offen, sagt sie.

In meinem Kopf läuft sofort so ein Film ab. Ich möchte ihnen sagen, dass Aggressionen nicht nur schlecht sind, dass wir sie umwandeln können, als Kräfte nutzen, dass Mädchen sich schon gar nicht ruhigstellen sollten. Ich will sie bewahren vor den Gründen ihrer Sucht. Höre mich warnen, vor Raucherbeinen, Lungenkrebs und chronischem Husten. Die beiden Mädchen machen niedlich besorgte Gesichter, erwähnen ihre Väter und Brüder, die auch zu viel rauchten. Dann schwärmen sie wieder vom Vapen, als sei das die Lösung für alle Probleme.

Als ich aufstehen muss, um endlich umzusteigen, hält mir das Houdie-Mädchen das Nikotin-Röhrchen hin. Vielleicht doch vor dem Zahnarzt? Ich lache und winke dankend ab. Passt auf euch auf, sage ich. Nähme sie am liebsten mit. Ein letztes Lächeln wird getauscht.

Wer wird sie vor dem, was sie schon erlebten, in Zukunft bewahren?