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Vom Tragischen und Komischen

Veröffentlicht am 14.01.1994

TRAGISCH wird es, wenn die Figur im Stück ein von ihr nicht lenkbares Schicksal hat, das ihr sogar bewusst ist. Wenn die Figur an diesem Wissen und der gleichzeitigen Ohnmacht zu leiden beginnt oder aus diesem Wissen vorschnelle Schlüsse zieht, die zu Unglück stiftenden Handlungen führen, wenn die Figur also als eine durch und durch zwischen Erkenntnis und Handlungsspielraum gekreuzigte gezeigt wird, so haben wir es mit einem Drama oder mit einer Tragödie zu tun.

Wo aber die Figuren sich ihrer tragischen Lage gar nicht bewusst werden oder ihr Bewusstsein ein derart verschobenes ist, dass ihnen zuweilen die ein oder andere Misere wohl vor dem inneren Auge erscheint, ihnen aber dennoch keineswegs zu Verzweiflung oder Ausbruch Anlass gibt, wo also das Denken nicht geradeaus, von einer Ursache auf eine Wirkung zugeht, sondern a) ganz unmündig bleibt oder b) gar schon weise und anarchistisch geworden ist, da sind dieselben Figuren plötzlich komisch, die vorher noch tragische Helden waren.

Es ist eine tragische wie komische Angelegenheit, dass der Mensch ein Leben lang einem Ich hinterherläuft, das er glaubt zu sein.

Es ist tragisch wie komisch, dass wir nur einer ungenügenden Sprache mächtig sind.

Es ist tragisch wie komisch, dass wir im Leben irgendwo ENDLICH! ankommen wollen, dass wir Sicherheiten wollen, dass wir uns unserer Entscheidungen sicher sein wollen, dass wir aber, weil wir dies alles nie haben, große Manöver um unsere Ängste veranstalten.

Es ist tragisch wie komisch unser Erwachsensein, unser Bürgersein, unser Erfolgreichsein, unser Gebildetsein.

Es ist mehr komisch als tragisch, wie der moderne Mensch unaufhörlich nach Antworten, Gründen, Erkenntnissen, einem Zusammenhang für alles und jedes sucht, dass er nicht einfach nur leben kann, dass er überhaupt nichts nur einfach so machen kann, dass er sich immer ein Bewusstsein schuldig ist.

Eine tragische Figur auf der Bühne verschafft dem Zuschauer eine Befreiung, wenn sie endlich untergeht, wenn ihr Leiden ein Ende hat in einem großen oder kleinen Tod. Eine komische Figur jedoch ist bereits eine freie Figur. Sie nimmt ihre Gefangenschaft nicht so schwer. Daher ist der Zuschauer von Anfang an erleichtert, weil er sein Schicksal als ein lächerliches vorgeführt bekommt und das Scheitern der komischen Figur ihn nicht so schlimm treffen kann. Die Komödie braucht keine Religion, kein tragisches Weltmodell, kein Erlösermotiv, um zu trösten. Die Komödie findet sich mit der Geworfenheit des Menschen ab, während die Tragödie die menschliche Existenz derart in eine Ausweglosigkeit hineintreibt, dass nur noch eine Metaphysik heraushilft.