UA-66898233-1
Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Zwischen der deutschen Wespe und mir

Veröffentlicht am 28.09.2018

Eben wollte ich noch einmal in der Sonne oder unter der Sonne mein Mittagessen einnehmen, aber eine deutsche Wespe hat mich vertrieben. Sie hat nicht gesagt, dass ich weggehen soll und es wäre ihr wahrscheinlich sogar recht gewesen, wäre ich geblieben....

... Ich und vor allem mein Essen. Kaum, dass ich auf draußen auf meinem Stuhl saß, hatte sie es offenbar schon in ihrer Nase, die gar keine ist. Ich hatte gerade die erste oder die ersten zwei Gabeln von meinem Salat in meinem Mund, schon flog sie über die Brüstung im Steilflug, in einem Bogen, in einem typischen Wespenschwirrflug heran.

Ich habe sie auf der Stelle gehasst.

Ich hasste sie im Besonderen und alle anderen Wespen, die wie sie von dieser besonders nervigen Art sind. Geht man unter Apfelbäumen entlang, stolpert man über einen Teppich aus herunter gefallenen Äpfeln. Geht man unter den Birnbäumen in diesem späten und unglaublich langen Sommer entlang, dann stolpert man über die Birnen, die frischen, die matschigen und faulen, man stolpert über die ausgehöhlten von den Hornissen, die echte Kunstwerke, wunderschöne filigrane Hohlkörper sind. Man stolpert über einen Überfluss, über Berge von Nahrung für Wespen, aber es sind keine dort. Keine einzige deutsche Wespe schwirrt über das verrottende Obst, es ist still wie im Wald, wo man auch meistens vergeblich auf Rufe von Käuzchen oder das Klopfen eines Spechtschnabels wartet. Die deutschen Wespen mögen das herunter gefallene Obst, das faulige matschige gärigsüße Obst, für das sie doch, so sagte man mir, als ich noch Kind war, auf dieser Welt sind, sie mögen dieses für sie bestimmte Fallobst nicht mehr.

Sie sind doch auch nützlich, hat man uns immer als Kinder gesagt. Die Wespen, vor denen wir immer davon gerannt sind. Die Wespen, die sich in der Limonadenflasche versteckten, um uns die Luft zum Atmen zu nehmen, sobald wir aus der Flasche ahnungslos tranken, die zustechen konnten, in unsere Zunge oder den Gaumen. Jedes Kind hatte panische Angst vor diesen Wespen, vor allem den deutschen, und hat es noch immer, aber man sagte und sagt es noch immer, sie seien auch nützlich. Sie fressen das Obst, das von den Bäumen und Sträuchern herab fällt. Von wegen. Sie fressen kein Obst. (Und was sie wirklich fressen, weiß ich jetzt auch nicht.) Sie lauern auf unseren Balkonen auf unseren Schinken, auf unsere Salami, auf meinen Salat. Seit Wochen kann ich nicht essen auf unserem Balkon.

Unser Balkon ist nicht mehr unser Balkon, sobald ich ihn mit etwas zu essen betrete. Man jagt mich davon. Man macht mir das Essen streitig. Man schwirrt in besoffenen Kreisen um mich und mein Essen herum und häufig ist's nicht nur eine, häufig schwanksurren drei oder vier oder fünfe herum. Auf unserem Balkon, den wir für uns bauen ließen. Auf unserem Balkon, den wir für uns schön gemacht haben, mit Pflanzen, den Sonnenschirmen, dem Tisch und den Stühlen, mit Windlicht und Polstern. Dieser Balkon ist Teil unserer Wohnung, wir haben ein Recht ihn auch zu benutzen. Wir wollen uns darauf erholen, die Sonne genießen, oder den Schatten oder den Wind. Und eben das Essen, das schließlich um ein Vielfaches gut schmeckt, wenn man es draußen im Freien einnimmt. Wir wollen das Essen im Freien genießen, aber es geht nicht, weil eine Spezie aus ihrer Art schlägt. (Jedenfalls kommt's mir so vor.) Weil sie sich breit macht auf unserem kleinen Stückchen von Welt, das man für uns, für unsere Erholung geplant und gebaut hat. Und wofür wir bezahlen, Monat für Monat, an eine Bank. Wofür wir auch arbeiten müssen, noch bis zur Rente, mobil von zuhause oder in Großraumbüros, direkt bei den Firmen, an anderen Orten. Wir müssen die Raten für diesen Balkon noch lange bezahlen, weswegen wir lange, noch lange nicht nachlassen können, mit unserer Arbeit, und bei vollem Pensum, und weshalb Erholung so notwendig wäre. Eine Erholung unter der Sonne. Es wären ja nur ein paar Minuten für den Salat, mein Butterbrot und drei Streifen Käse gewesen. Sagen wir einmal zwanzig Minuten, ich esse sehr schnell. Das hätte genügt, aber die Wespe, die deutsche, hat mich vertrieben, das nehm ich ihr übel. Obwohl sie wahrscheinlich gar nicht gesagt hat: "Hier bin ich, hau ab!" Sie hat womöglich nur "Hallo" gesagt, "Hallo, ich bin auch hier, lass mich mal schnuppern." Dabei ist sie auf ihre dusslige Art in Zickzackschleifen wespig geschwirrt, letztlich noch nicht mal direkt zu mir, nur an mir vorbei.

Hätte ich vielleicht auch aushalten können. Dass die auch da ist. In meiner Welt. Ich kannte sie nicht mal, wenn man's genau nimmt. Nur weil sie aus Deutschwespenland kam, meinte ich allerdings alles zu wissen. Vielleicht war sie nett und ich hab's nicht bemerkt. Schade. Ich hätte uns eine Chance geben müssen. Es ist doch nicht jede Deutschwespe eine mich jagende nervige Drohne oder ein fliegender Stachel, der mich vergiftet oder erstickt. Ich hätte mir etwas Zeit lassen und etwas genauer hinschauen sollen. Aber das ging nicht, wie schon gesagt. Zwischen der deutschen Wespe und mir liegt ein Jahrtausende alter mordstiefer Graben. Unser Verhältnis ist missverständlich, ohne Sinn und Verstand, schon immer gewesen. Aus alter Gewohnheit sind wir uns Feind. Ich jedenfalls ihrer. Ich hasse die deutsche Wespe, die ich nicht verstehe. Nur töte ich sie im Regelfall nicht, weil jemand mir sagte, dann kämen nur neue. Absaugen, wegsaugen würd' ich sie gerne und dann mit Karacho fünfhundert Meter weiter, hoch oben, ausstoßen. Hoch in den Himmel will ich sie blasen, mit meinem Hochdruck-Saug-und-Blasrohr, hoch in die Wolken, wo sie von den globalen Winden verweht wird. Sie würde nicht leiden, sie würde nicht sterben. Sie wäre nur schlicht und ergreifend verschwunden.