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Weit weg

Veröffentlicht am 04.04.2017

Katholisch erzogen, immer mit schlechtem Gewissen und hoher Moral, so gehe ich durchs Leben. Naiv, empfänglich für das romantische Gute, an Idealen festhaltend wie Jesus von Nazareth. Lästig ist mein Moralisieren häufig für andere und auch für mich. Es gibt der Probleme viele, sie stehen jeden Morgen mit uns auf. Die Welt ist ungerecht und appelliert an jemanden wie mich. Hilf, misch dich ein, fühle mit, tu etwas Gutes. Und tue ich nichts, so muss ich mich vor meinem eigenen Gericht und meinen eigenen Richtern erklären.

 

Du hast Basma nicht geholfen, die ihren Verlobten aus Homs nach Deutschland holen will.

Sie brauche 8.000 Euro, so hatte sie es vor ein paar Tagen in ihr Smartphone getippt. Sie brauche, - sie hatte das Wort in einem Übersetzungsprogramm gefunden -, einen Deutschen, der für ihn bürge.

 

Wir hatten uns mit den Mädchen (ihrer jüngeren Schwester und meiner Tochter) nach längerer Zeit mal wieder getroffen und hatten uns auf einem Spielplatz nebeneinander gesetzt. Ich hatte auf sie eingeredet, wie wichtig es wäre, ihr Studium wieder aufzunehmen. Ich hatte ihr vom Welcome Programm der Unis erzählt. Ich hatte ihr gesagt, dass ihr Wunsch Psychologie zu studieren, wie ein Wink Allahs sei. Dass nicht alle Menschen so genau wüssten, was sie mit ihrem Leben anfangen sollten. Und wenn man diesen Wunsch nach einem Beruf so tief in sich spüren würde, dies etwas ganz kostbares sei. Ich wollte sie darin bestärken ihren Weg weiterzugehen. Ihre Eltern drängten sie nicht dazu, ihre Brüder auch nicht, und deshalb sah ich meine Mission darin, sie als Frau zu ermutigen. Ich sah das Potential in ihr und das sollte nicht vergeudet sein. Sie lächelte viel, nickte, versuchte mich zu verstehen. Verstand mich vielleicht mehr als ich dachte, konnte aber nicht in gleicher Weise, noch nicht so souverän auf Deutsch antworten. Fotografierte sich die Seite der FU von meinem Smartphone ab, wollte sich endlich im Lernladen beraten lassen. Ja, gut.

 

Dann schauten wir wieder den Mädchen zu, die sich auf dem großen Karusell vergnügten. Wir schwiegen beide, lächelten, wie wir es häufig taten. Es war nicht so, dass ein Wort das andere ergab. Wir kommunizierten mit Mühe, auf holprige Weise, doch sehr freundlich miteinander. Wir saßen da und schwiegen und dann sagte sie plötzlich, dass sie mit einem Mann in Homs verlobt sei. Das kam wie ein Geständnis, ganz plötzlich aus ihr heraus. Wie eine Erklärung für vieles.

 

Ich freute mich für sie und gleichzeitig spürte ich, dass diese Freude von einem langen Schatten überragt wurde. Wie kann man sich freuen über einen Verlobten, der so weit weg ist, der noch immer in einer zu Schutt und Asche gebombten Stadt lebt? Ich fragte mich augenblicklich, warum er noch dort war. Ob er gekämpft hatte. Wer nicht kämpfte, war doch geflohen, dachte ich. Zu Basma sagte ich dann, dass ich das schön fände für sie, ihr Verlobter aber sehr weit weg sei. Ja, sehr weit weg, sagte sie. Und dass sie ihn, weil sie nur subsidiären Schutz habe, nicht nachholen könne. Sie zeigte mir ihre Papiere und schon da spürte ich eine Beklommenheit in mir. Ich sah etwas auf mich zurollen und noch bevor sie es aussprach, hörte ich es: Kannst du mir helfen? Er sagt, er brauche 8.000 für ein Visa. 8.000 Euro.

 

Ich sah sofort die Summe auf unserem Rücklagenkonto und mein Gedanke war: Wir haben das Geld, da liegt es, gib es ihr doch. Dann aber dachte ich, ja aber, dann ist es doch weg. Es ist alles, was wir selbst an Sicherheit haben. Wir bezahlen davon die Steuernachzahlungen, wir bezahlen davon die Reparaturen an unserem Auto, an unserer Wohnung, wir bezahlen davon meine Brille, die mich viel Geld kosten wird. Und unsere Urlaube.

 

Oh ja. Unsere Urlaube, die wir uns heraus nehmen. Diese eine Woche in diesem Dorf bei Toulouse, diese zwei Wochen auf einer kroatischen Insel. Das war wirklich Luxus. Das müsste nicht sein. Aber wir hatten schon beides gebucht. Wir würden viel Geld für diese drei Wochen Urlaub ausgeben. Mit den Flügen, den Mietautos, den Kosten für die Ferienwohnungen. Das gönnten wir uns und was wir dafür ausgeben würden, war nicht ohne für uns. Fast ein bisschen übertrieben. Unvernünftig. Aber der Winter war wieder so lang und düster gewesen in Berlin, da war es mit uns durchgegangen. Wir mussten uns diese Lichtblicke in unsere Kalender setzen. Wärme, Sonne, Leichtigkeit, um uns zu trösten, um uns mit diesen Belohnungen bei der Stange zu halten. Seelisch betrachtet war das von Nöten gewesen, könnte man sagen. Als Nordeuropäer fehlt uns die Sonne, die wir uns teuer erkaufen müssen. Unsere Sommer sind kurz, die Zeit des Müßiggangs, der drückenden Schwüle, die unseren Arbeitseifer dämpft, hält nur wenige Wochen, manchmal nur Tage lang an. Wir arbeiten also sehr viel unter diesem Wolken verhangenen Himmel. Was sollten wir auch sonst tun? Wir arbeiten viel. Wir sind fleißig und depressiv, hier oben im Norden und diese Urlaube sind überlebesnotwendig. Für uns und unsere Wirtschaft. So sind die Rücklagen, von denen ein Teil in unsere seelische Erholung fließt, ein Teil in die Reparatur unseres Autos, einiges in meine neue Brille und ein beachtlicher Teil an das Finanzamt und unsere Steuerberaterin, beinahe schon weg. Da bleibt nichts mehr übrig für einen ehemaligen Jurastudenten in Homs, der mit einer ehemaligen Psychologiestudentin in Deutschland verlobt ist.

 

Ich habe das Geld nicht, sagte ich ihr. Und dass ich als Autorin nicht viel Geld verdienen würde, meinte ich noch erklären zu müssen. Und dass es Vereine gäbe, die sich um die Nachholung von Angehörigen kümmern würden, murmelte ich. Und wusste dann aber dazu nichts Genaues. Ich fühlte mich schlecht. Als wäre ich geizig und selbstsüchtig. Nicht Jesus, nicht St. Martin. Kleinbürgerlich ängstlich und überfordert. Ich fühlte mich unter Druck gesetzt. An die Wand gestellt und von hellen Scheinwerfern angestrahlt. Ich war ein mickriges egoistisches Würstchen. Von ihr in ein moralisches Dilemma gebracht.

 

Sie hatte mir schon zweimal geschrieben, dass sie mich vermisse. Das hatte mich immer gerührt. Nun fragte ich mich, ob sie ihren Antrag an mich schon länger erwogen hatte. Ob sie gedacht hatte, dass ich wohlhabend sei und dass ich ihr früher oder später nützlich sein könnte. Ich nahm's ihr nicht übel. Ich hätte es ganz genau so getan. Wenn ich so alt wäre wie sie, vierundzwanzig, und in diesen wirklich sehr gut aussehenden Mann verliebt wäre, (grüne Augen, goldblonde Locken, arabische Gesichtszüge), mit dem ich, könnte er weiter Jura studieren, eine strahlende Zukunft vor uns sähe, dann würde ich wie sie an nichts anderes denken. Und alles versuchen. Und jeden Deutschen und jede Deutsche um Hilfe bitten, die ich kennen lernen würde. Ich würde es ebenso tun. Und die meisten meiner Freunde würden ähnlich denken wie ich. Sich schlecht fühlen, weil sie nicht ihr letztes Hemd hergeben würden. Und dieses schlechte Gefühl dann ganz schnell verdrängen. Denn wie sonst soll man das eigene Glück, das man geschenkt bekommen und erarbeitet hat, denn sonst noch genießen?

 

Und viele von meinen Freunden, die sagen auch, wir helfen schon viel. Es ist schon genug. Und allen zu helfen, das geht schlichtweg nicht. Und viele von meinen Freunden, die haben ein solches Dilemma, in dem ich jetzt bin, instinktiv, durch Abstandswahrung vermieden. Wer Basma nicht kennt, nicht neben ihr saß, ihr Lächeln nicht sah, als sie mich um Hilfe bat, der braucht dieses schlechte Gewissen, das ich nun habe, dann auch nicht zu tragen.