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Schwarzer Mann

Veröffentlicht am 20.12.2005

Heute Morgen fiel mir beim Frühstück ein, dass ich als kleines Kind oft von einem schwarzen Mann geträumt habe, der mich verfolgt hat. Manchmal war es auch ein schwarzer Hund, der über die Dächer sprang, ein furchtbar anmutendes großes Tier, überdimensional groß. Es gab zu der Zeit wohl noch den Hund Moggi, der nicht wirklich uns gehörte, der aber oft bei uns oben war, oben im Haus meiner Kindheit,

das hinter einem Wäldchen verborgen auf einer Lichtung stand. Ich muss als Kind Angst vor ihm gehabt haben. Er war groß wie ein Schäferhund, mit kurzem schwarzen Haar und glänzendem Fell. Eines Tages hat ihn ein Jäger oben am Waldrand erschossen. Wir standen in unserem Badezimmer hinter den Fenstern, von wo man hinauf an den Waldrand sehen konnte. Ich meine, dass wir sahen, wie er getroffen wurde und dort oben, wo die Äcker anfingen, in sich zusammen fiel. Moggi war zu viel allein im Wald herum gelaufen. Der Jäger erschoss ihn, weil er ein Geschwür hatte und nicht mehr gesund werden würde. Ich weiß noch, dass ich geschockt war. Hatte ich auch Angst vor ihm gehabt, warum musste er erschossen werden? Im Badezimmer, wo wir, meine Mutter, mein Vater und wir beiden kleinen Mädchen uns drängten, herrschte eine bedrückte Stimmung. Vermutlich hat mein Vater dann gesagt, dass es ihm zwar auch Leid täte, dass es aber hätte sein müssen. Ich bin mir sicher, dass ich das als Kind nur abstrakt verstehen konnte. Dieses „es musste sein“. Ich wusste nicht, was Krebs war, ich wusste nur, dass ein Hund, der schon fast zu unserem Haus gehörte, plötzlich dort oben in sich zusammen fiel. Mein Vater hat ihn dann am Waldrand begraben und einen großen Stein auf sein Grab gestellt, so dass wir das Grab im Unterholz leicht finden konnten. Ich habe ihm am Anfang oft ein paar Blumen aufs Grab gestellt, jedenfalls ging ich sehr oft dort hin. Ob ich gebetet habe, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass dieses Grab eine große Bedeutung für mich hatte. Ich hatte zum ersten Mal das Unbegreifliche erfahren, das etwas, was mich sehr beeindruckt hatte, plötzlich verschwand. Tot war. Tot und begraben.

Der Tod von Moggi aber führte dazu, dass meine Eltern sich entschlossen, sich einen eigenen Hund anzuschaffen. Und so kam Cora zu uns ins Haus, mit dem ich meine Kindheit und frühe Jugend verbrachte und der mein treuester Begleiter und Freund wurde. Ich liebte diesen Hund über alles. Wie ich im Sommer mit ihm und meinem Wagen voller Puppen durch den Wald spazierte. Wie ich im Winter mit kurzen Plastikskiern alleine durch den Wald pflügte und nur sie, die schwarzbraunweiße langhaarige Dame, war meine Begleiterin. Wie sie ihre Jungen bekam und ich bei ihr und den kleinen schwarzbraunweißen winzigen Welpen in der Hundehütte hockte. Wie ich wartete, Tag um Tag, bis die Kleinen die Augen öffneten, bis sie mit ihren blauen runden Äuglein zum ersten Mal in die Welt blickten und wie sie, noch tapsend und fallend, die ersten Schritte aus der Hütte wagten. Wie ich mit Cora und den Jungen im hohen Gras einer Sommerwiese, Gesumme um uns herum, liege und spiele. Wie sie mich abholt, wenn ich bei Dunkelheit vom Dorf herauf nach Hause komme. Immer pfiff ich nach ihr, wenn ich das Wäldchen erreichte und sie lief mir entgegen und begleitete mich zum Haus. Im Frühling und Herbst bürstete ich sie oft mit einer groben Nagelbürste und die Büschel von altem grauen Haar lagen wie Wölkchen um uns herum. Cora war eine freundliche Hündin und sie hatte ein schönes Leben, so lange wir dort oben wohnten, weit ab vom Dorf, in unserer eigenen Welt, umgeben von Wiesen und Wäldern. Cora blieb in einem großen Zwinger, bis wir von der Schule nach Hause kamen. Dann ließ ich sie heraus und sie war den ganzen Tag frei. Das Grundstück war lediglich zum Weg hin von einem Jägerzaun begrenzt. Doch zum Wäldchen, zum angrenzenden Wald und nach unten zur Lichtung hin war es offen. Cora war ein freier und glücklicher Hund, so wie ich ein freies und glückliches Kind war. So lange wir in diesem Haus am Waldrand wohnten.

Dass das Glück dieses Kindes auch schon in diesen frühen Jahren getrübt worden war, ist etwas, was ich bislang nicht sehen konnte. Nun habe ich mich an den Traum vom schwarzen Mann erinnert, den ich als etwa dreijähriges Kind oft geträumt haben muss. Ich fürchtete mich vor diesem schwarzen Mann, erwachte und schrie. Es muss so gewesen sein, wie mit dem kleinen Fidus meines Freundes Klaus, der gestern, während wir telefonierten, immer wieder aufwachte und schrie. Klaus war am Ende mit seinen Kräften, unterbrach aber immer wieder das Telefonat, um nach seinem Sohn zu sehen. Ein schreiendes, nicht durchschlafendes Kind ist eine große Anstrengung für die Eltern. So muss es auch mit mir gewesen sein. Ich erinnere mich dunkel, dass man mich mit hinüber ins Elternschlafzimmer nahm und dass ich in dem großen Bett der Eltern endlich zur Ruhe kam. Das aber muss meinen Vater auf Dauer derart gestört haben, dass er mich eines Nachts, als ich wieder diesen Alptraum hatte, aufweckte und anschrie und statt mich zu trösten geschlagen hat. Ich hätte danach nie wieder vom schwarzen Mann geträumt, meinte er später und grinste und dachte, er hätte es richtig gemacht. Ich aber weiß, dass in diesem Augenblick, wo der Vater mich nicht getröstet, mir seinen Schutz nicht mehr gewährt hat, er selbst die Rolle des schwarzen Mannes übernahm. Die Angst hatte jetzt ein Gesicht. Die Welt war aus den Fugen geraten. Es muss ein Schock gewesen sein, den man als Kind nicht wirklich ausdrücken kann. Vielleicht begann hier mein Rückzug in mich selbst. Die Welt da draußen war unsicher geworden. Es drohte mir Gefahr, genau dort, wo ich mich bislang geborgen gefühlt hatte.