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Die Freunde der Angst

Veröffentlicht am 03.09.2020

Die Angst geht um. An ihrer rechten Hand hält sie die Verachtung. An ihrer linken Hand steht die Wut bereit. Die Angst hat üble Freunde, und man kann sie gerade vor sehr vielem haben. ...

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Sag mir keiner, der Klimawandel mache ihm keine Angst. Es ist eine Angst, die einem das Gefühl vermittelt, ausgeliefert und nahezu machtlos zu sein. Da ist etwas im Gange, was offenbar nicht mehr aufzuhalten ist. Wir laufen auf unser Verderben zu. Wir vernichten unsere eigene Lebensgrundlagen. Wir zerstören die bestehenden Ökosysteme, Millionen von Tierarten sind und werden durch uns ausgerottet. Wir sind Schuldige, so tief schuldig, dass es jetzt zu einer Bestrafung kommen wird, zu einem Exodus, zu einem Ende. Wir haben noch zwei, drei, zehn Jahre um die Hebel umzureißen, aber es besteht keine Hoffnung, dass uns das gelingen wird. 

 

Das ist die Erzählung, die erzählt wird und die alle erwartet, wenn sie morgens aufstehen und abends in ihre Betten sinken. Manche behaupten auch, dass wir Corona selbst geschaffen haben. Dass es so kommen musste, weil wir Menschen die Natur nicht mehr achten. Wir essen Fledermäuse, wir dringen in deren Lebensraum ein und jetzt haben wir einen Virus von ihnen übernommen, das den Fledermäusen selbst nicht gefährlich wird, wohl aber uns dahinraffen kann. Andere sagen, das Virus stammt aus einem Chemielabor in China, und weil keiner Genaueres weiß oder beweisen kann und wir in einer Welt leben, in der es mehrere Geschichtenerzähler gibt, die um ihre Deutungshoheit und Macht ringen, gibt es noch einige Erzählungen mehr, die die Herkunft des Virus erklären. Man nennt sie Verschwörungstheorien, weil sie oft von dunklen Mächten handeln, die sich gegen uns, das Volk, verschworen haben. Die Verschwörungstheorien sind Phantasien mit einem hohen Gruselfaktor. Sie passen in unsere Zeit der Dystopien. Der Klimawandel gibt den Stab an den Virus weiter, eine existentielle Bedrohung löst die andere ab. Wir sind es schon länger gewöhnt in eine dunkle Zukunft zu schauen, jetzt wird sie noch dunkler. Die Gefahren sind aber immer diffus, unsichtbar, und ihre Ursachen entweder nicht eindeutig zu ermitteln oder zu viele, so dass wir den Überblick verlieren. Da ist eine Verschwörungstheorie schon besser, weil sie endlich einmal Klarheit schafft. So und so ist es, so ist es gekommen, der und der ist Schuld, und wir sind die Opfer und müssen uns jetzt wehren. Endlich blickt man wieder durch, Ach so! Ja, klar! Endlich sagt es mal einer! Es ist eine Form von Selbstermächtigung, nach der man sich gesehnt hat. Eine Vereinfachung des Weltbilds, die man dringend benötigt um wieder ruhig schlafen zu können. Nur leider erfasst diese Vereinfachung die Wirklichkeit nicht. Die Vereinfachung ist eine Phantasie, eine Lüge, ein esoterisches Konstrukt, das nur in sich logisch ist, aber nichts mit der Wirklichkeit, nichts mit der leider nicht ganz so einfach zu deutenden Realität zu tun hat, die eine Summe aus vielen Realitäten ist.

 

Es mag richtig sein, dass auch unsere Medien nicht für alle Denkrichtungen offen sind. Unsere staatlichen Medien zumindest stützen und repräsentieren unseren Staat, ganz klar, und die Werte einer Demokratie, die sich darauf verständigt hat, Minderheiten zu schützen, Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen zu üben, die Freiheit des Einzelnen zu verteidigen, so lange dieser nicht die Freiheit eines anderen gefährdet. Die öffentlichen Medien lassen in diesem Sinne jeden zu Wort kommen, so lange er diese Werte vertritt.

 

 

Unser Staat lässt auch viele Parteien zu, so lange sie unser Grundgesetz anerkennen und in dessen Sinne handeln. Unser Staat lässt auch viele Meinungen zu, selbst die, die intolerant gegenüber Andersdenkenden, Andersgläubigen und Minderheiten sind, so lange sie diese nicht beleidigen und nicht gefährden und so lange sie noch zu erkennen geben, dass sie diesen Staat nicht in Frage stellen. Der Staat aber verteidigt sich selbst gegenüber jenen, die ihn und seine Institutionen nicht mehr achten. Jeder Staat macht das, der autokratische genau so wie der demokratische, der letztere mit milderen Methoden. Es ist das Recht und die Pflicht eines Staates dies zu tun, denn seine Bürger, die Mehrheit seiner Bürger, möchte, dass dieser Staat so bleibt wie er ist. Sie haben ihn gewählt, sie gestalten die Gesellschaft mit den Regeln dieses Staates, und sie sind damit sehr einverstanden, denn es geht ihnen gut.

 

Was verloren gegangen ist in diesen Zeiten der großen Angst, ist der gemeinsame Ort, an dem gestritten werden kann und leider auch eine gemeinsame Sprache und Kultur, mit der man sich begegnen könnte. Der Andersdenkende wird verachtet und je radikaler die Gesinnung, um so mehr wird der Andersdenkende als Feind gesehen, den man aus der Welt schaffen muss. Das ist, wovor ich die größte Angst habe. Vor der Radikalisierung des Denkens, aus dem radikale Grausamkeit und Menschen verachtende Taten hervorgehen werden und in den letzten Jahren und Monaten schon hervorgegangen sind.

 

Meine Angst hält Trauer und Entsetzen, zwei andere Freunde, an ihren Händen.